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Wahr ist, dass wir mehr erleben als nur die Eindrücke der fünf Sinne. Denn auch, wenn ich in einem vollkommen dunklen, stillen, geruchlosen Raum regungslos stehe, erlebe ich vieles Lebendige in mir, in meinem Körper und in dem ‹Feld› um mich herum. Ich nehme neben den Sinneseindrücken Eindrücke meines Körpers und ein ‹inneres Erleben› wahr. Zumeist jeder Mensch kann für sich selbst zweifelsfrei Zeiten von Krankheit und Gesundheit feststellen, Zeiten, in denen wir mehr oder weniger Geldmittel zur Verfügung haben, Erschütterung und Gelassenheit, Besitz und Güterlosigkeit, Würde und Scham, Lebendigkeit und Ermattung, Gepflegt-Sein und Sich-Gehen-Lassen, Unterhaltung und Selbstbeschäftigung, Verbundenheit und Isolation, Alter und Jugend. Viele Menschen können an und in sich selbst zweifelsfrei Denken und Gedankenlosigkeit, Bewusstheit und Umfangenheit, Liebe und Frust, Emotionen und Gewahrsein, Freude und Leid, körperliches Empfinden, Fühlen und Spüren feststellen. All dieses beruht auf wahrem Erleben und ist kein Denken allein.
Prüfe die folgenden Aussagen zum Erleben an dir selbst. Erlebst du es ebenso?
Ich sehe. Sehen ist das Registrieren der in mich einfallenden Lichtstrahlen. Ohne Licht sehe ich nichts. Wenn jemanden Licht umgibt und die Tür offen ist, ist es nicht wahr, wenn er behauptet: «Da sehe ich schwarz» und: «Ich sehe keinen Ausweg». Auch: «Das sehe ich ein» ist kein physisches Sehen, sondern ein Denken.
Im Hören registriere ich den zu mir gelangenden Schall. Im Vakuum des Weltalls würde ich ohne Technik nichts hören. Im rein physischen Hören sind Aussagen wie: «Ich bin ganz Ohr» und: «Ich halte für dich meine Ohren auf» ohne Bedeutung, denn meine Ohren sind immer für das Registrieren des eintreffenden Schalls offen. Ich kann sie weder «auf Durchzug stellen» noch ihnen «nicht trauen», denn der Schall selbst ist eine Welle ohne Wertung. Schall sammelt sich auch nicht in meinem Hörsinn, insofern kann mir niemand «die Ohren volljammern». Dieses Erleben ist eine Emotion.
Im Riechen und Schmecken registriere ich die in meinen Nasen- und Mundraum gelangten Moleküle, die sich von der Nahrung gelöst haben oder in der Luft gelöst sind. Mit geschlossenem Mund und geschlossener Nase rieche ich die mich umgebenden Düfte nicht. Im physischen Sinne ist es nicht wahr, wenn ich sage: «Ich kann dich nicht riechen». Ist es wahr, dass diese Kirschen besser schmecken, nur weil ich sie vom Baum des Nachbarn stibitzt habe?
Im Tasten registriere ich mit meiner Haut die Berührungen mit Materie, wie Körpern, Gegenständen oder auch der Luft. Ich registriere Oberflächenstrukturen, Formen, Weichheit und Härte, Druck, Wärme und Kälte. Können wir auch Feuchtigkeit tasten? Wenn ich im Gespräch meine Hände auf der Tischplatte liegen habe und behaupte: «Ich habe mich an dieses Thema herangetastet», so ist dieses kein physisches Tasten, sondern ein Denken und Einfühlen.
Mein Körper zeigt mir seine Empfindungen und Ausdrücke als Ziehen, Kribbeln, Spannung, Druck, Schmerz, Bewegung, Brennen, Wärme, Kälte, Kitzeln und feines Pulsieren. Bei einer wahren Körperempfindung stelle ich den Ort der Empfindung im Körper fest. ‹Hunger› kann sowohl ein Körperausdruck als auch ein Ausdruck des bedürftigen Gemüts sein. Wenn ich sage, dass ich «mich schwer fühle» oder «erleichtert bin» (mein Gewicht hat sich nicht verändert), dass ich ‹niedergeschlagen› oder ‹getroffen› bin (mein Körper hat keinen Schlag oder Stoß erhalten), dass mich «deine Worte gestern verletzt haben» (die Intensität deiner Stimme hat meinem Trommelfell nicht geschadet), ist dieses keine reine Körperempfindung, sondern mehr ein Gemisch aus Denken und Fühlen.
Es ist wahr, dass immer wieder in mir Gedanken sind. Wenn ich eine Lösung suche, mir etwas ausdenke, dann scheine ich die Gedanken selbst zu erschaffen. In anderen Momenten kommen Gedanken scheinbar «zu mir». Jetzt «kommt mir etwas in den Sinn» oder ich habe eine ‹Idee› oder empfange ‹Inspiration›. Die meisten Gedanken haben die Form von Worten und Sätzen in der mir ‹tonlos› erscheinenden Stimme. Andere Gedanken haben die Form eines Bildes, Filmes oder, im vertieften Denken, auch die Form aller weiteren Sinne wie Geruch, Geschmack oder Tasteindruck. Wenn ich dein Antlitz vor meinem inneren Auge sehe oder deine Stimme in mir sprechen höre, dann ist es wahr, wenn ich sage: «Ich denke gerade an dich.» Wahr im Strom des Denkens ist das Hören und Sehen des Gedankes selbst. Probiere es aus: Finde einen ruhigen, geschützten Ort, schließe die Augen und sage zu deinem Verstand: «Bitte mache eine Pause von mindestens fünf Minuten.» Verweile jetzt ganz wach und bewusst und lausche in dich. Irgendwann kommt er, der erste, erneute Gedanke. Was sagt er? Ist es ein Bild, ein Satz oder ein Wort?
Wer die Gabe besitzt, aus dem Denken herauszutreten, seine eigenen Gedanken zu hören und zu sehen und damit auch der Stille des Denkens lauschen zu können, stellt in sich die wahren Empfindungen des Gemüts fest, diejenigen, die kein Denken, sondern ein reines Fühlen sind: Wir Menschen können Angst, Wut, Freude, Leid und Traurigkeit empfinden sowie die vielen möglichen Mischungen aus diesen fünf Elementargefühlen. Kummer und Zorn sind solche Mischungen. Auch Mut und Glück sind in erster Linie Gefühle.
Ebenso, wie unser Denken mitunter still ist, so tritt auch das Fühlen zuweilen zurück. Diese unsere tiefst-mögliche Empfindung nennen wir ‹Liebe›, denn nun sind wir durch unser offenes Gemüt mit unserem Selbst und damit auch viel näher mit unseren Mitmenschen verbunden. Umgangssprachlich verwenden wir das Wort ‹fühlen› in vielen Zusammenhängen, die nur selten ein reises Empfinden sind: «Ich fühle mich von dir im Stich gelassen, vernachlässigt, mich hier wie zu Hause, mich von dir angegriffen, mich betrogen, mich fehl am Platze, mich fit, mich in deiner Gegenwart klein, mich schwindelig, mich zu dir hingezogen, ...» All dieses Erleben ist neben dem Gefühlsausdruck vor allem ein Denken; manches umgangssprachliche ‹Fühlen› ist auch ein Tasten oder Körperempfinden, wie zum Beispiel: «Ich fühle den kalten Herbstwind über meinen Nacken streichen.»
Wer sich diesen ersten acht Strömen: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, körperliches Empfinden, Fühlen und Denken über eine weite Zeit wach und aufrichtig wahrnehmend widmet, wird Eindrücke in sich finden, die keines dieser ersten Erleben sind: Jeder von uns spürt und nimmt mit diesem sechsten Sinn ‹Feinstoffliches› und Energetisches wahr. Wer in sich selbst all dieses eigene Erleben erforscht, wird sich des für sich selbst Wahren immer sicherer.
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